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“Ich muss ständig irgendwas machen.” – Emanuel Günther
Zu Besuch bei Emanuel Günther. Wenn seine 8-jährige Tochter Juno mit der Ansage “Mir ist laaaaangweilig!” nach einer neuen Beschäftigung sucht, dann kann sich Emanuel Günther damit bestens identifizieren: “Was mich treibt, weiß ich zwar nicht, aber ich bin unglaublich getrieben! Ich muss ständig irgendwas machen.”
Wenn seine 8-jährige Tochter Juno mit der Ansage “Mir ist laaaaangweilig!” nach einer neuen Beschäftigung sucht, dann kann sich Emanuel Günther damit bestens identifizieren: “Was mich treibt, weiß ich zwar nicht, aber ich bin unglaublich getrieben! Ich muss ständig irgendwas machen.” Ein schweifender Blick durch sein glasbedachtes Wohnzimmer, das einer Mischung aus legerem Studio, Ballett-Proberaum, unsortiertem Plattenladen und Kinderspielplatz samt Carrera-Rennbahn gleicht, ist ein Hinweis darauf. “Meine Tochter hält mir jeden Tag vor Augen, wie Veränderung ständig vor sich geht. Erneuerung ist wahnsinnig wichtig!”
Sonja: Emanuel, du hast mit deinem Dasein als DJ unter dem Pseudonym Dompteur Mooner sowie Labelgründer von “Erkrankung durch Musique”, bis auf seltene Ausnahmen, weitgehend abgeschlossen. Wie würdest du deine momentane Tätigkeit als Künstler beschreiben?
Emanuel: Den Beruf, den ich ausübe, gibt es so eigentlich nicht. Ich habe mir quasi selbst einen zusammengeschustert: mittlerweile würde ich mich am ehesten als Macher bezeichnen. Oder Tüftler. Ich bin aber auch Veranstalter, außerdem baue ich Kunstobjekte aus Neonröhren, alten Möbeln oder Schrott und kuratiere Ausstellungen.
Sonja: Du hast also parallel mehrere Baustellen. Woran werkelst du zur Zeit?
Emanuel: Aktuell arbeite ich in einem ehemaligen Krankenhaus in Murnau, in dessen Kapelle ich eine große Neon-Arbeit auf den sakralen Raum abgestimmt habe. Im Rahmen des Kulturknalls werden 5000 Besucher erwartet.
Sonja: Vielleicht kannst du ein wenig über dein Collagen-Projekt erzählen, für das du täglich ein Werk fertigstellst und verkaufst!
Emanuel: Ich stelle mir selbst gerne Aufgaben, die nicht im herkömmlichen, künstlerischen beziehungsweise künstlichen Kontext funktionieren. Mich reizen dabei immer wieder einjährige Projekte, die beispielsweise 365 Autos oder 365 Hände illustrieren. Dieses Jahr bastle ich täglich eine Collage aus alten Büchern, Verpackungen, Magazinen und Papierschnipseln.
Sonja: Was ist dein künstlerischer Ansatz dafür?
Emanuel: Der Ansatz ist sowohl ein politischer, da für demokraktische 25 Euro das Kunstwerk für jeden leistbar ist, aber auch ein kontinuierlicher: jeden Tag händisch etwas zu gestalten und sich der Spannung auszusetzen, bedingt auch Geduld.
Sonja: Ist es für dich wichtig, im digitalen Zeitalter etwas Analoges, Bleibendes zu schaffen?
Emanuel: Ja, absolut! Ich bekomme sehr viel positives Feedback. Der besondere Gegensatz ist ja die Verknüpfung von analoger Collage-Kunst, die seit dem Dadaismus vor 125 Jahren ihre Legitimation hat, sowie der digitalen Vermarktung über Instagram ein besonderer Gegensatz. Es ist für mich da aber nicht relevant, etwas Makelloses zu schaffen, sondern eher, als Künstler direkt mit allen zu kommunizieren, ohne zum Beispiel die Zwischenschaltung einer Galerie. Bei einer Menge Output muss zwar alles perfekt sein, – aber die Qualität soll auch schwanken dürfen.
Sonja: Fällt es dir leicht, alte Sachen wegzuwerfen?
Emanuel: Ja, total! Eigentlich bin ich ein notorischer Wegschmeißer. Ich bin aber auch ein Sammler, was sich ja auch kaum vermeiden lässt, wenn sich die Schnittflächen zwischen Musik, Kunst und der Liebe zum Basteln durch die Biographie ziehen.
Sonja: Hast du einmal etwas entsorgt, was du mittlerweile vermisst?
Emanuel: Ich vermisse eigentlich nur meine orange ´79er Vespa 50 special, die ich von meiner Tante geerbt hatte, und eines Tages verkauft habe, weil ich weder den Weitblick noch das technische Know-How hatte, um sie zu reparieren.
Sonja: Gibt es etwas, das du schon lange hättest wegschmeißen müssen, aber einfach nicht über’s Herz bringst?
Emanuel: Einen alten, über und über beklebten Plattenkoffer habe ich aufgehoben, weil ich ihn auf auf unzähligen Touren dabei hatte. Der hat einen großen Erinnerungswert und steht jetzt ganz hinten im Schrank.
Sonja: Zusätzlich hast du ja noch einen Nebenjob im medizinischen Bereich. Wie kam es dazu?
Emanuel: Ich werde regelmäßig für einen medizinischen Hilfstransport engagiert, für den ich verhältnismäßig spontan lebensnotwendiges Blutplasma von A nach B fliege. Die Beschäftigung entstand aus einer großen Dankbarkeit für die vielen Male im Leben, in denen mir das Glück zugewandt war. Dabei mache ich mir selbstverständlich viele Gedanken über den Wert von Leben per se.
Sonja: Was macht dein Leben wertvoll? Wann fühlst du dich im Haus am wohlsten?
Emanuel: Die Aussicht unseres Hauses ist für mich am schönsten, wenn ich im Sommer an der Wohnungstür auf der Stufe sitze, die Morgensonne im Gesicht spüre und Müsli esse. Und ich habe gerne Gäste, die eine gute Atmosphäre verbreiten. Dann gehört für mich zu einem gelungenen Dinner unendlich viel Essen auf dem Tisch, gute Gespräche, das Gefühl, betrunken zu werden, Tischspiele, mit dem Moped durch´s Wohnzimmer fahren.
Das Haus im Norden Münchens, umgeben von einem großen Garten, wurde ihm und seinem Halbbruder vor vier Jahren von den Eltern überlassen, die 35 Jahre lang dort lebten. “Sie ließen einfach alles so stehen und liegen, wie es war, und zogen ins Allgäu. Es hat eine Weile gedauert, auszusortieren und sich hier einzurichten. Ich habe auch ziemlich viel selbst renoviert, zum Beispiel das gesamte Obergeschoss.” Dass ihm bei so viel Liebe zum Detail augenscheinlich an Langfristigkeit gelegen ist, schließt nicht aus, nochmal den Wohnort zu wechseln. “Im hohen Alter wohne ich möglicherweise in einer Holzhütte im Wald, auch wenn das kitschig und unrealistisch klingt.”