wohngeschichten
“Wir sind glücklich, uns zu haben.”
zu Besuch bei Hubertus Becker mit Noemie Stegmüller, Casper & Leni.
Es ist beinahe exemplarisch, in der schmucken Altbauwohnung, die Verleger Hubertus Becker und Fotografin Noemie Stegmüller mit ihren beiden Kindern bewohnen, beinahe von einem überbordenden Schuhregal erschlagen zu werden. Die beiden umtriebigen Allrounder betreiben seit vielen Jahren gemeinsam mit Mirko Hecktor sowie dem Grafikbüro Mirko Borsche das Stadtmagazin Super Paper, welches nicht nur von den beiden redaktionell organisiert wird, sondern auch eigenhändig an die rund 300 gastronomischen wie kulturellen Locations ausgefahren wird, an denen es gratis zu finden ist. Aktuell ist zudem ein Kunst- und Musikfestival in Planung, und es gilt ja auch noch ein Deli zu betreiben: dass die beiden extrem viele, fleißige Schritte tun, ist wohl obsolet zu erwähnen; die hunderte von Sneakers sind die trefflichste Metapher.
Sonja: Noemi, du bist gerade mit dem dritten Kind schwanger. Wie geht es euch hier in eurer Schwabinger Wohnung?
Noemi: Soweit geht es uns gut. Wir würden uns natürlich mehr Platz wünschen!
Hubertus: Wir sind wirklich sehr glücklich, mit allem was wir haben. Wir haben auch kaum needs, aber was uns extrem fehlt, ist bezahlbarer Wohnraum. Momentan teilen sich Caspar und Leni ein Zimmer, und mit drei Kindern wird es in einer 2,5-Zimmer-Wohnung schon eng.
Sonja: Was macht für euch das Viertel so attraktiv?
Hubertus: Ganz klar die familiäre Vernetzung. Die Eltern in der Nachbarschaft zu haben, die ihre Enkel häufig sehen können. Die Gegend auswendig zu kennen, weil man hier aufgewachsen ist.
Noemie: Für uns ist es deswegen eigentlich auch keine Option, außerhalb eine größere Wohnung zu suchen. Wir lieben die luftige Lebensqualität und unsere Familien in der Nähe. Deswegen stapeln wir uns hier lieber unter die Decke, als weit weg zu ziehen.
Sonja: Was macht für euch den Charme der Wohnung aus?
Hubertus: Dass wir hier so viele Liebhaberstücke gesammelt haben. Die Fliesen in der Küche sind beispielsweise aus der damaligen 1. Liga, einem Club, den Marc Deininger betrieben hat. Der war sehr eifersüchtig, als er das damals während eines Skype-Telefonats an meiner Wand wiedererkannt hat. (lacht)
Noemie: Wir haben hier auch viel Liebe zum Detail reingesteckt und lieber auf einzelne Möbelstücke gespart, anstatt alles mit IKEA-Möbeln vollzustellen.
Hubertus: Wir lieben die französischen Hinterhofflohmärkte. Da finden sich wunderbare Sachen! Warte, ich zeige euch das Geschirr, das wir letztens mitgebracht haben!
Leni: Möchtet ihr auch mal unser Kinderzimmer sehen?
(Das möchten wir natürlich sehr gerne. Ein Intermezzo und Ausflug in ein kleines Kinderparadies.)
„Ich kann nie wieder aus dieser Stadt weg“, hat Hubertus Becker einmal ein wenig betrunken zu Mirko Hecktor gesagt. „Ich bräuchte hundert Jahre, um all das woanders aufzubauen.“ Diesen Eindruck gewinnt man ebenso in der Wohnung der Familie Becker-Stegmüller: ein verschachteltes, liebevoll eingerichtetes Familiennest, voller Sammerstücke und Selbstgemachtem. Lenis Geburtstagsgirlande, angebautes Obst vom Balkon und die Hausaufgaben von Caspar fügen sich zu Kunstobjekten von befreundeten Designern und Fotografen. Ob es etwas gäbe, was die zwei längst hätten wegschmeißen müssen, aber es nicht übers Herz bringen, frage ich zuletzt. Da lachen sie beide: “Schuhe! Definitiv Schuhe!”
Sonja: Ihr habt ja beide auch in London gelebt.
Noemie: Ja, wir haben vier beziehungsweise sechs Jahre dort gelebt; ich war schon in London auf der Schule. Wir haben uns wohl dort gefühlt.
Hubertus: London ist eine wahnsinnig geile Stadt! Wir hatten dort eine unglaublich gute Zeit.
Sonja: Könntet ihr euch vorstellen, dort wieder hinzuziehen?
Hubertus: Nein, eigentlich nicht, vor allem natürlich wegen der Kinder, den Schulen und unseren Familien. Diese Umpflanzung wäre ein zu großer Aufwand.
Noemie: Uns ist es sehr wichtig, viel gemeinsam Urlaub zu machen, sobald die Kinder Ferien haben. Wir fahren oft nach Formentera und vor allem nach Frankreich, wo wir mit der Familie ein Haus in der Ardeche haben. Hubi kann von dort aus auch arbeiten, so sind wir aber den ganzen Tag beisammen.
Sonja: Hubi, du hast im letzten Jahr gemeinsam mit Marc Deiniger das Deli “Bikini Mitte” eröffnet. Verstehst du als Gastronom diesen Ort auch als erweiterten Wohnraum?
Hubertus: Ja, selbstverständlich! Im Grunde genommen ist das Bikini Mitte das Büro für Super Paper. Bis dato hatten wir keines, wir haben quasi ausschließlich vom Küchentisch aus gearbeitet, für acht Jahre. Statt eines Büros kam Marc dann mit dem Laden daher – so ist es zu dem Deli gekommen, das nun gleichzeitig Redaktion, Hip Hop-Bar und eben Deli ist.
Sonja: Neulich hast du auch deinen 40. Geburtstag dort gefeiert, was du nachträglich als das schönste Geburtstagsfest deines Lebens bezeichnet hast. Damit geht ja auch der Gedanke einher, Gastfreundschaft zu zelebrieren und gemeinsam mit Freunden und Stammkunden einen temporären Lebensraum zu schaffen.
Hubertus: Ja richtig. Diesen Ansatz, einen Ort zum Feiern und ein erweitertes Büro-Konzept zu schaffen, war für mich sehr wichtig. Und eine räumliche Redaktion zu haben. Als Selbstständiger arbeitet man ja sowieso ständig und selbst. (lacht) Das Bikini Mitte ist jedenfalls ein Büro nach unserem Geschmack.
Sonja: Du bist ja nicht nur Chefredakteur des Super Papers, sondern auch versierter Veranstalter. Woran tüftelst du gerade?
Hubertus: Momentan entsteht die konkrete Planung für das FNY-Festival. Wir beleben damit das Werksviertel am Ostbahnhof neu und decken da mit klassischer sowie elektronischer, zeitgenössischer Musik ein breites Spektrum ab.
Sonja: Was wird dort konkret stattfinden?
Hubertus: Mit dem Musikprogramm und der künstlerischen Gestaltung soll der Austausch zwischen den vielfältigen gesellschaftlichen Sphären angeregt und neue Synergien geschaffen werden. Dabei ist das Festival gleichzeitig Hinterhof-Rave und Kunstgalerie, es gibt hochkulturelle Konzerte, als auch Outdoor-Biergarten und Foodtruck Areas. Das Ganze ist ein Baufeld mit rauem, industriellen Charme, weil dort der neue Konzertsaal gebaut wird. Eine nachhaltiges Festival als Zwischennutzung, sozusagen.